Ich bin weder Politiker, Virologe noch Epidemiologe sondern ein einfacher Bürger und bin genauso bestürzt über die massiven gesundheitlichen und wirtschaftlichen Probleme wie Sie. Dennoch sehe ich in der Aktualität leider auch ein anschauliches Beispiel für verpasste Chancen und erlaube mir ein Plädoyer für einen datenzentrierten Umgang mit der Digitalisierung.

Die Corona-Krise zeigt mir einmal mehr, was die Kernaufgabe innerhalb der Digitalisierung wirklich wäre: Daten auf intelligente Weise zu sammeln, zu verarbeiten und zu nutzen, um bessere Entscheidungen zu treffen, um Prozesse zu automatisieren, um datenbasierte Produkte und Dienste zu entwickeln und ganz allgemein das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln – zum Nutzen von Kunden und Mitarbeitern.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben mir gezeigt, dass der Weg zu dieser Erkenntnis noch lange und steinig sein wird. Unter Digitalisierung zu Zeiten von Corona versteht man derzeit hauptsächlich Home-Office unter Nutzung von «modernen» Kommunikations- und Kollaborationswerkzeugen. Mit Verlaub, das ist bereits seit 15 Jahren wunderbar möglich, wenn auch heute komfortabler und mobiler. Skype kam im August 2003 auf den Markt.

Schlimmer als befürchtet

Wie ein Artikel der Republik zeigt, ist das jetzt stark geforderte Bundesamt für Gesundheit (BAG) selbst für diese Verhältnisse weit abgeschlagen. Es fehlen die grundlegendsten digitalen Möglichkeiten für den Datenaustausch. Von professioneller Datenverarbeitung und -analyse kann schon gar keine Rede sein: Die Meldeprozesse basieren offenbar noch weitgehend auf Fax und für die Zählung werden Papierstapel gewogen. Sogar die im 19. Jahrhundert eingeführten Lochkarten scheinen mir da mehr Automatismus zu bieten. Dass das BAG offenbar Zahlen aus Wikipedia abschreibt, die andere in mühsamer Kleinarbeit zusammengetragen haben, zeigt die Hilflosigkeit in aller Deutlichkeit.

Aber selbst wenn die Meldeprozesse vollständig digital wären, hätte das noch nichts mit datengetrieben zu tun. Denn das BAG tut ja nichts anderes, als die erfassten Rohdaten zu kommunizieren, ohne sie einzuordnen oder in irgendeiner Weise in einen Kontext (mit Ausnahme der täglichen Veränderung) zu stellen. 8800 bestätigte Infizierte, 88 Tote usw. So traurig und unnötig jeder Fall ist. Der Aussagewert für das grosse Ganze dabei liegt bei praktisch 0.

Uns als mündigen Bürgern fällt es schwer, aus diesen Daten eine Erkenntnis abzuleiten. Daher gibt es von den Verharmlosern bis zu den Hysterikern auch sämtliche Schattierungen. Aber auch die meisten Medien unternehmen kaum den Versuch einer fundierteren Analyse, oder wenigstens einer kritischen Auseinandersetzung mit dem, was man eben nicht weiss.

Entscheidungen ohne Datengrundlage

Selbst unter Notrecht gehört es dazu, dass getroffene Massnahmen verstanden und hinterfragt werden können. Ist ein Lockdown die richtige oder die falsche Strategie? In welcher Ausprägung? Für welchen Zeitraum? Rechtfertigen die Massnahmen des Gesundheitsschutzes den wirtschaftlichen Schaden? Gibt es Alternativen? Ich möchte nicht in der Haut derjenigen stecken, die über die Massnahmen entscheiden müssen. Aber wenn, dann möchte ich fundierte Datengrundlagen, um in dieser hochemotionalen Situation genauso empathisch wie sachlich argumentieren zu können.

Aber wir haben schlicht die erforderlichen Informationen nicht. Einerseits aus Gründen von verpassten Chancen bei den Behörden, andererseits aus einem für mich subjektiv empfundenen Unwillen (oder Unfähigkeit?), den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Covid-19 könnte zu einem Beispiel an fatalen Entscheidungen basierend auf mangelhafter Datenlage, -analyse und -bewertung werden.

John P. A. Iaonnidis, ein renommierter Statistiker und einer der meistzitierten Wissenschaftler weltweit, schreibt in seinem aufsehenerregenden Aufsatz «A fiasco in the making? As the coronavirus pandemic takes hold, we are making decisions without reliable data»:

If we decide to jump off the cliff, we need some data to inform us about the rationale of such an action and the chances of landing somewhere safe.

John P. A. Ioannidis

Auch das «Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.» stellt in ihrer Veröffentlichung unter dem Titel «COVID-19: Wo ist die Evidenz?» ganz grundlegende Fragen zu der Effektivität der getroffenen Massnahmen. Dass die Datenbasis teilweise mangelhaft ist, liegt in der Natur der Sache. Aber ist es jetzt nicht Aufgabe der Regierung, der Behörden und der Medien, so schnell und konsequent wie möglich Antworten zu den offenen Fragen zu finden und daraus schlüssige und verantwortungsvolle Entscheide abzuleiten? Insbesondere, um die zunehmenden Ängste der Bevölkerung zu bekämpfen und irrationalem Verhalten vorzubeugen, welche ebenso enormen Schaden anrichten können.

Vom Blindflug zum datengetriebenen Geschäft

Stellen Sie sich einen Verkäufer vor, der Ihnen als Aussenstehenden erzählt, er habe 50 Kunden in seinem CRM und 5 hätten einen Vertrag abgeschlossen. Was bedeutet das, abgesehen von nackten Zahlen? Welche Kunden sind das genau? Hatte er qualifizierte Kontakte mit ihnen? Was war der Zeitraum und Aufwand? Was wurde angeboten? Wie sieht der Gesamtmarkt aus? Wie könnten sich die Abschlüsse in Zukunft entwickeln? Welche Massnahmen können daraus abgeleitet werden? Welche Risiken und Chancen gibt es?

Dies ist das von mir subjektiv empfundene Niveau der Corona Information, wenn man sich nicht selbst intensiv mit dem Thema beschäftigt und nur dem Mainstream Nachrichten folgt.

Kein Unternehmen würde je so operieren. Es ist anzunehmen, dass jedes auch noch so kleine Unternehmen in der Schweiz ein minimales Berichtswesen hat, welches alle wichtigen geschäftlichen Daten und Kennzahlen übersichtlich aufbereitet. Grössere Unternehmen tun dies natürlich in weit grösserem Ausmass. Aber meistens zeitlich rückwärts gerichtet. Man nennt das neudeutsch «Business Intelligence» und auch das ist schon länger im Mainstream angekommen.

Datengetriebenes Geschäft kann durchaus als Erweiterung dessen gesehen werden. Für mich stehen dabei 3 Kerncharakteristiken im Vordergrund:

  • Es existiert ein klares – datenbasiertes – Verständnis der Kundenbedürfnisse und -probleme
  • Alle relevanten Datenquellen, intern wie extern, werden genutzt und stetig ausgebaut
  • Kreative Prozesse erschliessen mit Daten neue Umsatzquellen oder erzielen Wettbewerbsvorteile

Natürlich spielen fortschrittliche Technologien wie Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz dabei eine wichtige Rolle, aber sind niemals Selbstzweck. Ebenso situativ ist die Wahl einer geeigneten Organisation, der notwendigen Ressourcen und der Methoden.

Ob sie nun…

  • Kundenanfragen automatisiert beantworten
  • durch Echtzeit-Analyse einer Maschine die Leistung als Service verkaufen können
  • Krankheits-Indikatoren in Röntgenbildern finden
  • Personalisierte Produkte oder Produkt-Empfehlungen ermöglichen
  • die Compliance durch intelligente Verfahren automatisieren
  • Umsatz mit dem Verkauf von Datenprodukten machen
  • Markttrends früher als die Mitbewerber erkennen

Ihrer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Keine Raketenwissenschaft

Wenn Sie jetzt denken, der Weg zum datengetriebenen Geschäft starte mit dem Aufbau eines Data Science Teams und dem Einkauf von Technologie, sind Sie bereits einen Schritt zu weit. Der Anfang liegt in der Erkenntnis, dass Daten eine Schlüsselressource zur Erreichung strategischer, taktischer und operationeller Ziele sind, einer intensiven Beschäftigung mit der Frage, wie das Geschäftsmodell und die Kunden davon profitieren können, sowie einer Lern- und Fehlerkultur in der Organisation. Es ist also primär eine Leadership-Aufgabe.

Starten Sie mit 3 einfachen Fragen:

  • Was ist das Kundenproblem resp. die geschäftliche Herausforderung?
  • Können Daten zur Lösung dieses Problems eingesetzt werden, und wenn ja welche?
  • Wo in der Wertschöpfungskette müssen wir ansetzen, wo gibt es «Quick Wins»?

Zum Schluss zurück zu Corona. Ich möchte Sie auf ein Gedankenexperiment einladen, welches ausschliesslich als allgemein verständliches Beispiel zur Illustration meiner Argumentation dienen soll. Alle kennen ja Amazons berühmtes «Kunden, die gekauft haben, kauften auch…», eine der ersten Anwendungen des datengetriebenen Geschäfts. Es geht vereinfacht darum, dass Kunden, die ein ähnliches Profil und Verhalten haben, auch dieselben oder ähnliche Produkte kaufen.

Angenommen, wir verfügen über alle relevanten medizinischen, soziodemografischen, zeitlichen und örtlichen Daten aller bestätigten Infizierten, der tatsächlich Erkrankten, der Verstorbenen sowie zum Vergleich die Daten einer genügend grossen repräsentativen Stichprobe der Schweizer Bevölkerung. Wäre es nicht zumindest denkbar, daraus einen Algorithmus zu entwickeln, welcher durch Mustersuche eine Wahrscheinlichkeit für das Infektions- resp. Erkrankungsrisiko bestimmt sowie die häufigsten Ausbreitungswege identifiziert? Und so Massnahmen zielgerichteter getroffen und angewendet werden können?

Ich bin mir sicher, dass Mediziner, Wissenschaftler und Behörden gemeinsam in den nächsten Wochen und Monaten intensiv an solchen Ansätzen arbeiten werden, um einen echten datengetriebenen Umgang mit einer hoffentlich nie stattfindenden weiteren Epidemie zu ermöglichen.

Damit auch Sie in das Thema des datengetriebenen Geschäfts einsteigen oder es vertiefen können, werde ich in den nächsten Wochen meinen neuen Canvas publizieren, mit dem sie schnell und in interdisziplinären Teams eigene Ideen und Anwendungsfälle entwerfen und validieren können.